RA Dr. Kühnemund, RAe Dr. Hantke & Partner
Unsere Gesellschaft erlebt gerade Verwerfungen, wie wir sie seit dem zweiten Weltkrieg nicht erlebt haben. Sicherlich gab es immer mal „Krisen“, z.B. den Deutschen Herbst 1977, 9/11 und die Wirtschaftskrise 2008/2009. Oder die Sonntagsfahrverbote Anfang der siebziger Jahre.
Aber keine dieser Krisen war so grundlegend wie das, was uns aktuell heimsucht: Die Corona-Krise, wenn wir sie einmal so nennen wollen, erschüttert die Grundfeste unserer Gesellschaft. Menschen dürfen nicht mehr zusammenkommen. Dabei ist der Mensch ein Herdentier: Das Leben in der Gruppe, in der Gemeinschaft, hat den Menschen stark gemacht. Angefangen beim Lagerfeuer vor der Höhle und dem gemeinsamen Kampf gegen den Säbelzahntiger, bis in die heutige Zeit.
Und nirgendwo zeigt sich das mehr, als im Wohnungseigentumsrecht; denn letztlich ist der Unterschied zwischen einer heutigen Wohnungseigentümergemeinschaft und der „Wohngruppe“ des Höhlenmenschen gar nicht so groß. Jedes Mal geht es um eine Gruppe von Menschen, die sich eine Unterkunft teilt. Und damit das funktioniert braucht man Regeln, die wiederum in gemeinsamen Zusammenkünften immer wieder neu definiert werden. Und da ist der „Dreh- und Angelpunkt“: Gemeinsame Zusammenkünfte. Die Versammlung der Wohnungseigentümer und die dort stattfindenden Beschlussfassungen sind das Plenum der Wohnungseigentümer. Wenige „Verfassungen“ entsprechen so sehr der ursprünglichen Form der Demokratie, wie unser Wohnungseigentumsgesetz.
Und in diesen Grundsatz greift die aktuelle „Notstandsgesetzgebung“ nun ein, wenn sie, landauf landab in verschiedener Form aber doch immer mit dem gleichen Ziel, die Zusammenkünfte von Menschen verbietet. Und da die Zusammenkunft von Menschen zur Beschlussfassung über die Dinge ihres Zusammenlebens ein wesentlicher Bestandteil der Demokratie ist, bleibt die aktuelle Lage auch nicht ohne Auswirkungen auf die Wohnungseigentümergemeinschaft.
Dabei sind zwei Dinge ganz wesentlich für das Funktionieren der Gemeinschaft: Sie muss handlungsfähig bleiben. Dazu braucht sie einen „Kopf“, also in der Regel den Verwalter; und sie braucht Geld, damit sie weiter am Wirtschaftsleben teilnehmen kann (Wasser, Wärme, Strom, Dienstleistungen).
An dieser Stelle greift jetzt der Gesetzgeber ein mit dem Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht. Dieses ist am 25.03.2020 vom Bundestag und am 28.3.2020 vom Bundesrat beschlossen worden. Es enthält viele detaillierte Regelungen zu den verschiedensten Bereichen des Rechtslebens. Für die WEG findet sich nur ein kleiner, aber inhaltsreicher Paragraph, nämlich Art. 2 § 6. Dieser beschäftigt sich mit dem Verwalter und dem Wirtschaftsplan. § 6 Abs. 1 lautet: „Der zuletzt bestellte Verwalter im Sinne des Wohnungseigentumsgesetzes bleibt bis zu seiner Abberufung oder bis zur Bestellung eines neuen Verwalters im Amt.“
Und die Gesetzesbegründung erläutert das ergänzend: Es ist egal, ob die Bestellungszeit des Verwalters nach Inkrafttreten des Gesetzes endet, oder schon vorher geendet hat. Hat z.B. die Bestellungszeit des Verwalters aufgrund Fristablauf am 31.12.2019 geendet und haben die Eigentümer bisher keinen neuen Verwalter gewählt, dann ist der „alte“ Verwalter auf einmal wieder Verwalter, und zwar wohl rückwirkend ab 1.1.2020. Und er bleibt solange Verwalter, bis er abberufen oder ein neuer Verwalter gewählt wird.
Eine vergleichbare Regelung findet sich zu den Wirtschaftsplänen in § 6 Abs. 2: „Der zuletzt von den Wohnungseigentümern beschlossene Wirtschaftsplan gilt bis zum Beschluss eines neuen Wirtschaftsplans fort.“ Damit wird die Finanzierung der Gemeinschaft auch in den Fällen sichergestellt, in denen eine Fortgeltung des Wirtschaftsplans nicht beschlossen wurde. Und dabei ist es egal, ob der letzte beschlossene Wirtschaftsplan das Jahr 2019 betraf, oder vielleicht das letzten Mal 2012 über einen Wirtschaftsplan formal wirksam beschlossen wurden. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass es immer eine Rechtsgrundlage gibt, auf welcher der Verwalter für die WEG Zahlungen von den Eigentümern einfordern kann. Denn bekanntlich ist die Anspruchsgrundlage für die Zahlungen durch die Eigentümer nur der wirksam beschlossene Wirtschaftsplan. Gibt es den nicht, könnte der Verwalter keine Zahlungen einfordern.
Über die Jahresabrechnung ist dagegen zu beschließen, sobald die Eigentümerversammlung wieder zusammentreten kann (oder aber im Rahmen eine schriftlichen Umlaufbeschlusses, siehe unten). Soweit die Jahresabrechnung als Zahlenwerk insbesondere für steuerliche Zwecke erforderlich ist, ist sie den Wohnungseigentümern schon zuvor zur Verfügung zu stellen. Das versteht sich aber wohl von selbst: Denn solange der Verwalter noch handlungsfähig ist und sein Bürobetrieb funktioniert, kann er natürlich die Abrechnungen erstellen und den Eigentümern zur Verfügung stellen.
Diese Regelungen sollen übrigens bis zum 31.12.2021 gelten. Viele andere Dinge in diesem Gesetz sind kürzer befristet und können durch Verordnungen immer wieder verlängert werden. § 6 gilt aber ohne Einschränkungen bis 31.12.2021.
Und damit ist aus Sicht des Gesetzgebers und seiner Ausführungen in der Gesetzesbegründung die Handlungsfähigkeit der WEG in wesentlichen Teilen sichergestellt. Denn das WEG sieht vor, dass der Verwalter in dringenden Fällen die zur Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums erforderlichen Maßnahmen ohne vorherige Befassung der Wohnungseigentümer treffen darf (§ 27 Absatz 1 Nummer 3 WEG). Und ein solcher dringender Fall liegt vor, wenn die vorherige Befassung der Eigentümer in der Eigentümerversammlung nicht möglich ist. In diesen Fällen ist der Verwalter auch zur Vertretung berechtigt (§ 27 Absatz 3 Satz 1 Nummer 4 WEG). Daneben ist der Verwalter berechtigt, Maßnahmen zu treffen, die zur Wahrung einer Frist oder zur Abwendung eines sonstigen Rechtsnachteils erforderlich sind (§ 27 Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 WEG). Auf der Grundlage des geltenden Rechts kann und muss der Verwalter demnach ohne vorherigen Beschluss der Wohnungseigentümer alle unaufschiebbaren Maßnahmen veranlassen. Das gilt insbesondere für den Fall, dass dem gemeinschaftlichen Eigentum ein Schaden droht, wenn nicht umgehend gehandelt würde. Insbesondere notwendige Reparaturen können auf dieser Grundlage vom Verwalter veranlasst werden. Demnach bleibt die Gemeinschaft im Hinblick auf unaufschiebbare Maßnahmen in der durch die COVID-19-Pandemie ausgelösten Situation auch dann handlungsfähig, wenn keine Eigentümerversammlung durchgeführt werden kann. Über alle anderen Maßnahmen kann entschieden werden, wenn die Eigentümerversammlung wieder zusammentreten kann (Drucksache 19/18110 S. 31).
Allerdings gibt es ja durchaus Maßnahmen, die aktuell vielleicht sinnvoll und geboten sind, aber nicht unbedingt unaufschiebbar: Ist das Dach defekt und regnet es herein, ist eine Notabdichtung unaufschiebbar. Das kann der Verwalter also sofort und alleine veranlassen. Droht das Dach aber nur undicht zu werden und ist eigentlich eine umfangreiche Instandsetzung geboten, darf der Verwalter diese umfangreiche Instandsetzung nicht ohne Beschluss auf den Weg bringen.
Und hier stellt sich dann die Frage, ob die Eigentümer nicht trotzdem über diese Themen trotz der „Krise“ beschließen können. Und eine Möglichkeit gibt es: Wenn sich alle Eigentümer einig sind, kann jeder Beschluss in Form eines schriftlichen Umlaufbeschlusses gefasst werden. Allerdings müssen nach dem Gesetz alle Eigentümer diesem zustimmen. Macht nur ein Eigentümer nicht mit oder stimmt er dagegen, ist der Beschluss nicht zustande gekommen. Ob der Verwalter ihn trotzdem verkünden dürfte (mit der Folge, dass der Beschluss anfechtbar wäre), oder ob ein trotz fehlender Einstimmigkeit verkündeter Beschluss nichtig wäre, ist hoch umstritten. Aber man kann ja durchaus einmal versuchen, ob sich bei wichtigen Fragen und in Anbetracht der besonderen Situation insbesondere in kleineren Gemeinschaften nicht auf diesem Wege sogar Jahresabrechnungen beschließen lassen.
Dann bliebe noch die Frage, ob der Verwalter in dringenden, aber halt nicht unaufschiebbaren Fällen nicht doch zu einer Eigentümerversammlung einladen könnte. Manch Verwalter hat mehr oder weniger große Räume zur Abhaltung einer Versammlung zur Verfügung. Vorstellbar wäre, was man auch unter einer sog. „Ein-Personen-Versammlung“ versteht: Es erfolgt eine Einladung mit dem Hinweis, dass sich der Verwalter freuen würde, wenn niemand erscheint. Stattdessen mögen die Eigentümer ihn, den Verwalter, bevollmächtigen (wenn die Teilungserklärung das zulässt). Alternativ könnten alle Eigentümer einen Beirat bevollmächtigen, der dann mit dem Verwalter im gebotenen räumlichen Abstand die Versammlung durchführt. So etwas dürfte zulässig sein, sogar ohne gegen die zurzeit geltenden Kontaktverbote zu verstoßen. Eine andere Frage wäre allerdings, ob ein solcher Beschluss am Ende vielleicht anfechtbar wäre. Denn damit könnte ja ein Eigentümer sich daran gehindert fühlen, auf einer Versammlung mit glühenden Redebeiträgen seinen Standpunkt zu vertreten. Aber solange ein Beschluss nicht rechtskräftig aufgehoben ist, ist er in der Welt und er ist wirksam. Wie die Gerichte einmal über diese Situationen entscheiden werden, bleibt abzuwarten. Wir haben eine Situation, die unsere Generation so noch nie erlebt hat. Also müssen hier vielleicht auch einmal in der rückwirkenden Betrachtung andere Maßstäbe gelten.
Insgesamt wird also auch das Leben in der Wohnungseigentümergemeinschaft durch die aktuelle Situation ein wenig entschleunigt.
Keine Sonderregelungen finden sich im Hinblick auf das zu zahlende Wohngeld; auch wenn ein Eigentümer z.B. durch Kurzarbeit Einkommensverlust hinnehmen muss, entbindet ihn das nicht von der Verpflichtung zu Zahlung des Wohngeldes. Das ist auch sinnvoll, denn die Wohnungseigentümergemeinschaft muss ja auch weiterhin ihren Verpflichtungen nachkommen. Eine Stundungsregel findet sich lediglich für Verbraucher und kleine Unternehmen im Hinblick auf Dauerschuldverhältnisse, wozu die Mitgliedschaft in einer Wohnungseigentümergemeinschaft aber nicht gehört. Eine weitere untypische Regelung findet sich sodann für Mietverhältnisse: Dort müssen die Mieten zwar weiterhin gezahlt werden, eine Kündigung wegen der bis Juni 2020 aufgelaufenen Mietrückstände ist aber für bestimmte Zeiträume nicht möglich. Wie sollte ein Verwalter aber nun verfahren, wenn ihn ein Eigentümer informiert, dass er wegen der Einkommenseinbußen während der Krise sein Wohngeld in den nächsten Monaten nicht oder nur teilweise zahlen könne? Nun, die Politik hat von den Arbeitgebern verlangt, pragmatisch damit umzugehen, wenn ein Arbeitnehmer wegen des Schulausfalles und der dadurch notwendigen Kinderbetreuung nicht zur Arbeit kommen könne. Ähnliches müsste man hier auch den Verwaltern raten: Kann ein Eigentümer, nicht zahlen und teilt er das dem Verwalter sogar mit, dürfte es vertretbar sein, die Sache nicht gleich zum Anwalt zu geben, damit dieser ein gerichtliches Mahnverfahren einleitet. Das gilt umso mehr, wenn es sich um einen Eigentümer handelt, der sonst immer und zuverlässig gezahlt hat.
Bleiben oder werden Sie gesund!