RAin Julia Studt, RAe Dr. Hantke & Partner
In seiner Entscheidung vom 02.04.2019 (Az.: VI ZR 13/18) hat der Bundesgerichtshof festgehalten, dass das menschliche Leben als höchstrangiges Rechtsgut absolut erhaltungswürdig ist. Entsprechend verbietet es sich auch selbst ein leidensbehaftetes Leben als Schaden anzusehen, welcher einen Schadens- bzw. Schmerzensgeldanspruch begründen könnte.
Was war passiert?
Der Kläger ist der Alleinerbe des im Oktober 2011 verstorbenen Patienten. Der im Jahr 1929 geborene Patient stand aufgrund eines dementieren Syndroms seit 1997 bis zu seinem Tod im Oktober 2011 unter der Betreuung eines Rechtsanwaltes, die sowohl die Gesundheit- als auch Personenfürsorge umfasste. Seit 2006 lebte der Patient im Pflegeheim. Während eines stationären Krankenhausaufenthaltes im Jahr 2006 wurde dem Patienten mit Einwilligung des Betreuers eine PEG-Sonde angelegt, da der Patient an einer Mangelernährung sowie Austrocknung litt. Eine Patientenverfügung hatte der Patient nicht errichtet. Seit 2008 war die Demenz derart weit fortgeschritten, dass eine Kommunikation mit ihm gänzlich unmöglich wurde.
Seit Januar 2010 bis zu seinem Tod hatte der Patient regelmäßig Fieber und Atembeschwerden. Viermal wurde eine Lungenentzündung festgestellt. Von Mai bis Juni 2010 befand sich der Patient aufgrund einer Gallenblasenentzündung in stationärer Behandlung, von einer Operation wurde aufgrund des körperlichen Zustandes des Patienten jedoch abgesehen. Während der gesamten Zeit ließ sich der Wille des Patienten hinsichtlich des Einsatzes lebenserhaltender Maßnahmen nicht feststellen. Bis zu seinem Tod im Oktober 2011 war die PEG-Sonde bei dem Patienten angelegt und eine Ernährung fand hierüber statt.
Der Kläger behauptete nun in dem gerichtlichen Verfahren vor dem Landgericht, dass die Sondenernährung von Anfang 2010 bis zu dem Tod des Patienten Werder medizinisch angezeigt gewesen wäre noch durch den feststellbaren Willen des Patienten gerechtfertigt gewesen wäre. Die Sondenernährung habe ausschließlich zu einer sinnlosen Verlängerung des Leidens des Patienten geführt ohne Aussicht auf Besserung des gesundheitlichen Zustandes. Der Beklagte, der behandelnde Arzt, der den Patienten bis zu seinem Tod hausärztlich betreut hatte, wäre verpflichtet gewesen, das Sterben des Patienten durch Beendigung der Sondenernährung zuzulassen. Des Weiteren behauptete der Kläger, dass der Beklagte nicht hinreichend darüber aufgeklärt habe, dass für die künstliche Ernährung nicht ausreichend medizinische Indikation vorgelegen habe. Durch die Fortführung des leidensbehafteten Lebens sei das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Patienten verletzt worden. Daher stehe dem Patienten ein Schmerzensgeldanspruch zu. Zudem sei ein finanzieller Schaden durch die in dem streitgegenständlichen Zeitraum angefallenen Behandlungs- und Pflegeaufwendungen in Höhe von € 52.952,00 entstanden, die ohne die Behandlung nicht entstanden wären, da der Patient dann nicht mehr gelebt hätte.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Daraufhin legte der Kläger Berufung beim Oberlandesgericht ein.
Entscheidung des OLG
Das OLG hat dem Kläger Schmerzensgeld aus ererbtem Recht des Patienten zugesprochen. Zur Begründung führte das OLG an, dass der Beklagte dazu verpflichtet gewesen wäre, mit dem Betreuer die Fortführung der lebenserhaltenden Maßnahmen zu besprechen. Durch die unterlassene Aufklärung habe der Beklagte eine Pflichtverletzung begangen, aus welcher ein Schadensersatzanspruch resultiere.
Der Schaden resultiere daraus, dass das Leiden des Patienten verlängert worden ist. Wenn der Betreuer ausreichend aufgeklärt worden wäre, sei im Rahmen der Kausalität davon auszugehen, dass dieser den Patienten hätte sterben lassen, weil der Tod für den Patienten eine Erlösung dargestellt hätte. Entsprechend sei das Integritätsinteresse des Patienten verletzt, da ohne dessen Einwilligung über einen längeren Zeitraum hinweg mittels einer Magensonde Nahrung verabreicht worden sei. Allein dieses würde einen Schmerzensgeldanspruch rechtfertigen. Zudem käme erschwerend hinzu, dass der Patient über einen längeren Zeitraum hinweg massive gesundheitliche Beeinträchtigungen habe durchleiden müssen. Der Beklagte sei zwar für den Gesundheitszustand nicht verantwortlich, hingegen jedoch dafür, dass der Patient in diesem Zustand weiterleben musste.
Den Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens in Höhe von € 52.952,00 lehnte das Landgericht jedoch ab. Gegen die Entscheidung des OLG legten sowohl der Beklagte Revision als auch der Kläger Anschlussrevision beim BGH ein.
Entscheidung des BGH
Der BGH hob die Entscheidung des OLG auf und wies einen Schmerzensgeldanspruch des Klägers ab. Zur Begründung führte der BGH an, dass es dahingestellt bleiben kann, ob durch den Beklagten wirklich aufgrund einer unterlassenen Aufklärung eine Pflichtverletzung begangen worden ist. Vielmehr begründete der BGH seine Entscheidung damit, dass das Tatbestandsmerkmal des Schadens im vorliegenden Fall zu verneinen sei.
Für die Bestimmung des Schadens bedarf es eines Vergleichs der bestehenden Gesamtlage mit der Lage, die ohne das schädigende Ereignis bestanden hätte. Ein etwaiger Nachteil stelle jedoch lediglich dann einen Schaden dar, wenn die Rechtsordnung ihn auch als solchen anerkennt. Daran fehle es jedoch im vorliegenden Fall, da das Leben - auch wenn es leidensbehaftet ist - nicht als Nachteil gegenüber der Option des Todes angesehen werden könne. Das leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig. Das Urteil über seinen Wert stehe keinem Dritten zu. Aus diesem Grund verbiete es sich auch, das Leben - selbst wenn es leidensbehaftet ist - als Schaden anzusehen.
Des Weiteren führt der BGH in seiner Begründung aus, dass nichts Anderes gelten mag, wenn der Patient eine Patientenverfügung errichtet hätte. Auch in diesem Fall mag der Patient selbst sein Leben als lebensunwürdig erachten, der staatlichen Gewalt einschließlich der Rechtsprechung werde es jedoch aufgrund der Verfassungsordnung verboten, dieses Leben als Schaden anzusehen. Dem stehe auch nicht entgegen, dass ein Betreuungsgericht entsprechend § 1904 Abs. 2 und 3 BGB eine Nichteinwilligung des Betreuers in den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen zu genehmigen habe. Dadurch würde dann zwar dem Willen des Patienten Geltung verschafft werden. Sollte ein solcher Behandlungsabbruch dann jedoch nicht erfolgen, würde es sich aber trotzdem verbieten, das Weiterleben als einen Schaden zu betrachten.
Schlussendlich führt der BGH aus, dass es sich der menschlichen Erkenntnisfähigkeit entziehe zu bewerten, ob ein leidensbehaftetes Leben ein Nachteil gegenüber dem Tod ist.