RA Martin Haucke, RAe Dr. Hantke & Partner
Das Landgericht Frankfurt am Main hatte sich mit Urteil vom 28.06.2017 (LG Frankfurt a.M. 2-13 S 191-14) mit einer spannenden Frage zu befassen – nämlich der Wirkung eines nicht bestandskräftigen Beschlusses, welcher später durch eine gerichtliche Entscheidung für unwirksam erklärt wurde.
Aber fangen wir vorn an: Der beklagte Wohnungseigentümer hatte im Jahr 2009 oder 2010 (der konkrete Zeitpunkt war streitig) eine Verglasung seiner zwei Terrassen vorgenommen, sodass eine Art Wintergarten entstand. In der Eigentümerversammlung am 07.08.2010 beschlossen die Eigentümer der Gemeinschaft die Verglasung der Terrassen zu genehmigen. Der Genehmigungsbeschluss wurde erfolgreich von klagenden Eigentümern angefochten und in zweiter Instanz mit Urteil des Landgerichts Frankfurt vom 08.05.2013 für ungültig erklärt. Am 31.12.2013 erhoben diese daher Beseitigungsklage gegen den Eigentümer, der die Terrassenverglasung vorgenommen hatte.
Das Amtsgericht bejahte einen Beseitigungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB, da die Verglasung der Terrasse eine bauliche Veränderung sei, die das Eigentum der Kläger über das in § 14 Nr. 1 WEG festgelegte Maß hinaus beeinträchtige. Insoweit entspricht es auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, dass eine solche bauliche Veränderung, die zu einer erheblichen optischen Veränderung des Gebäudes führt, andere Wohnungseigentümer benachteiligt und von diesen nicht hingenommen werden muss (BGH V ZR 49/16, Urteil vom 18.11.2016). Das Amtsgericht hielt den Beseitigungsanspruch allerdings für verjährt, da es nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt war, dass der Beseitigungsanspruch bereits im Jahr 2009 entstanden sei. Mithin sei zum Zeitpunkt der Klageerhebung im Jahre 2013 der Anspruch verjährt gewesen. Mit der rechtskräftigen Ungültigerklärung durch das Berufungsgericht sei zudem der Genehmigungsbeschluss auch im Nachhinein von Anfang an als ungültig zu betrachten. Dies könne keine Auswirkungen auf die Verjährung haben.
Anders sah dies das Landgericht Frankfurt. Dieses hob die Entscheidung des Amtsgerichts auf und gab der Klage statt, da der Beseitigungsanspruch nicht verjährt gewesen sei. Das Landgericht führte hierzu aus, dass es nicht auf die zwischen den Parteien umstrittene Frage ankäme, ob die baulichen Veränderungen im Jahre 2009 oder im Jahre 2010 vorgenommen worden sind. Die am 31.12.2013 erhobene Beseitigungsklage hat die Verjährung rechtzeitig hemmen können, da der Zeitraum vom 07.08.2010 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Gültigkeit des Beschlusses am 08.05.2013 nicht einzuberechnen sei.
Der Beschluss über die Genehmigung der Terrassenverglasung war nämlich bis zum Zeitpunkt seiner Ungültigerklärung gemäß § 23 Abs. 4 Satz 2 WEG gültig und bindend. Demzufolge bestand während dieses Zeitraums kein Unterlassungsanspruch der Kläger, den diese mit Erfolg hätten durchsetzen können. Eine von den Klägern erhobene Beseitigungsklage hätte vielmehr nach überwiegender Ansicht in der Rechtsprechung als derzeit unbegründet abgewiesen werden können. Die Kläger hätten also erst zu dem Zeitpunkt erfolgreich Beseitigungsklage erheben können, wenn der der Genehmigungsbeschluss für ungültig erklärt worden ist.
Das Landgericht erläutert hierzu folgendes:
„Nach Ansicht der Kammer steht der Genehmigungsbeschluss überhaupt dem Lauf der Verjährung für den Zeitraum bis zur rechtskräftigen Ungültigerklärung entgegen. Denn wenn aufgrund dieses Beschlusses - wie ausgeführt - der Beseitigungsanspruch nicht besteht, kann er auch keiner Verjährung unterliegen (§ 194 BGB). […]
An diesem Befund ändert sich […] nichts durch die zwischenzeitlich rechtskräftige Ungültigerklärung des Genehmigungsbeschlusses. Zwar entspricht es der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass durch die gerichtliche Ungültigerklärung eines Beschluss dieser von Anfang an seine Wirkung insgesamt verliert (BGH V ZB 6/88, Beschluss vom 01.12.1988). Dies ändert allerdings nichts daran, dass der Beschluss für die Zeit bis zur gerichtlichen Ungültigkeitserklärung für die Wohnungseigentümer sowie für den Verwalter bindend war (§ 23 Abs. 4 WEG), denn der Anfechtungsklage kommt gerade keine aufschiebende Wirkung zu.
Demzufolge ist es zwar so, dass aus heutiger Sicht - ex post - der Beseitigungsanspruch seit der Errichtung der baulichen Veränderung fortlaufend bestanden hat. Gleichwohl bestand aufgrund der gesetzlichen Bindungswirkung des Genehmigungsbeschlusses bis zur rechtskräftigen Ungültigerklärung ein Beseitigungsanspruch, den die Kläger mit Erfolg gerichtlich durchsetzen konnten, nicht. Entsprechend ist in der Rechtsprechung - auch des Bundesgerichtshofs - anerkannt, dass auch in anderen Fällen die Ungültigerklärung von Beschlüssen nicht den Wegfall jeglicher Rechtswirkungen für die Zwischenzeit zur Folge hat.“.
Das Landgericht folgt damit seiner bisherigen Auffassung (LG Frankfurt a.M. 13 S 88/15, Beschluss vom 10.08.2015). Die Entscheidung ist im Ergebnis auch interessengerecht. Denn auch ein noch nicht bestandskräftiger Genehmigungsbeschluss einer Gemeinschaft ist gemäß § 23 Abs. 4 Satz 2 WEG gültig und vom Verwalter umzusetzen; dieser entfaltet damit auch Wirkungen gegenüber den Eigentümern. Eine Beseitigungsklage eines Eigentümers wird also keinen Erfolg haben, da eben dieser Genehmigungsbeschluss – auch wenn er noch nicht bestandskräftig ist – in der Welt ist.
Eine Entscheidung zu dieser Thematik seitens des BGH wäre insofern jedoch interessant, als das es Stimmen in der Literatur und auch Rechtsprechung gibt, die in einem solchen Fall die Entscheidung über die Beseitigungsklage auf die „lange Bank“ schieben und zunächst den Ausgang des Anfechtungsverfahrens über die Gültigkeit des Beschlusses gemäß § 148 ZPO abwarten. Das ist pragmatisch, führt wohl aber dazu, dass eben gerade keine verjährungsbeeinflussende Wirkung von einem nicht bestandskräftigen Beschluss ausgeht bzw. ausgehen muss – es kann ja ohne Risiko auf Beseitigung geklagt werden. Das Landgericht Frankfurt am Main folgte dieser Auffassung nicht und lehnte eine Aussetzung nach § 148 ZPO ab. Im vorliegenden Fall wäre die Geltendmachung des Beseitigungsanspruches dann möglicherweise zu spät erfolgt.