RA Dr. Kühnemund, RAe Dr. Hantke & Partner
Ab und zu hört man es als Nachricht aus der Wissenschaftswelt: Irgendwelche Bakterien hätten im Permafrostboden Jahrtausende überlebt. Die Welt hat sich weitergedreht, das Mamut ist ausgestorben, aber dieses kleine Bakterium ist noch da.
Eine aktuelle Entscheidung des LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 28.7.2023 - 9 Sa 73/21) hat die Frage aufgeworfen, ob Abmahnungen in der Personalakte eigentlich auch solche Überlebenskünstler sind. Oder, kurz ausgedrückt: Was muss mit einer Abmahnung in der Personalakte geschehen, wenn das Arbeitsverhältnis beendet ist. Bleibt sie einfach dort, oder muss sie entfernt werden. Und was ist eine in Papier geführte Akte eigentlich im Sinne des Datenschutzrechtes?
Nun, insbesondere die letzte Frage hat das LAG ganz klar beantwortet: Natürlich ist auch eine Papierakte ein Dateisystem im Sinne der DSGVO. Und das macht auch Sinn. Art. 2 Abs. 1 DSGVO setzt keine elektronische Verarbeitung der Daten voraus, sondern lässt jede Verarbeitung in einer Datei ausreichen. Der Begriff des Dateisystems ist in Art. 4 Nr. 6 DSGVO bestimmt. Danach ist ein Dateisystem jede strukturierte Sammlung personenbezogener Daten, die nach bestimmten Kriterien zugänglich sind, unabhängig davon, ob diese Sammlung zentral, dezentral oder nach funktionalen oder geographischen Gesichtspunkten geordnet geführt wird. Würde man das anders sehen, wäre ja jedem Arbeitgeber unverzüglich zu raten, seine Personalakten zukünftig nur noch in Papierform zu führen, damit er sich allen Vorgaben des Datenschutzes entziehen kann.
Für den Bereich des Beschäftigungsverhältnisses hat das BDSG das in § 26 Abs. 7 auch nochmal klargestellt, wohl wissend, dass es noch jede Menge „Papierakten“ hier draußen in der Welt gibt. Dort heißt es, dass § 26 BDSG auch anzuwenden sei, wenn personenbezogene Daten, einschließlich besonderer Kategorien personenbezogener Daten, von Beschäftigten verarbeitet werden, ohne dass sie in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen.
Die Abmahnung wiederum enthält personenbezogene Date. Und damit stellt sich die Frage, wie lange ein Arbeitgeber diese Daten aufbewahren, und wann er sie löschen muss. Und hier greift Art. 17 DSGVO. Danach hat eine betroffene Person das Recht, von dem Verantwortlichen zu verlangen, dass sie betreffende personenbezogene Daten unverzüglich gelöscht werden, und der Verantwortliche ist auch verpflichtet, personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen, sofern die personenbezogenen Daten für die Zwecke, für die sie erhoben oder auf sonstige Weise verarbeitet wurden, nicht mehr notwendig sind.
Damit stellt sich dann die Frage, wozu die Abmahnung dient: Sie dokumentiert ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers und die Tatsache, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer hierauf und auf die Konsequenzen im Wiederholungsfalle hingewiesen hat. Damit schafft der Arbeitgeber die Grundlage dafür, dass er den Arbeitnehmer bei wiederholtem Fehlverhalten gegebenenfalls kündigen kann und darf. Ist das Arbeitsverhältnis beendet, entfällt dieser Zweck der Abmahnung. Die Abmahnung ist also überflüssig geworden, sie ist für den Zweck, für den Sie als „Datum“ (Einzahl von Daten) verarbeitet worden ist, nicht mehr notwendig. Und damit ist der Arbeitgeber verpflichtet, sie spätestens dann zu löschen, wenn das Arbeitsverhältnis beendet wurde und nicht mehr zu befürchten steht, dass der Arbeitnehmer sich mit einer Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung wehren kann.
Das LAG Sachsen hatte das in einer Entscheidung vom 31.3.2023 (4 Sa 117/21) anders gesehen und dort einen Anspruch auf Entfernung aus der Personalakte abgelehnt. Zum einen hält das LAG Sachsen die DSGVO auf in Papierform geführte Akten nicht für anwendbar. Zum anderen aber war es der Ansicht, dass sich der Zweck der Abmahnungen in jenem Verfahren noch nicht erfüllt hatte. Denn gleichzeitig mit dem Anspruch auf Entfernung der Abmahnungen verklagte der Arbeitnehmer den Arbeitgeber auf Schadensersatz wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen. Das Arbeitsverhältnis oder zumindest die Auseinandersetzung über seinen Inhalt und seine Abwicklung waren also noch in vollem Gange.
Aufgrund dieser leicht divergierenden LAG-Urteil ist die Revision beim BAG zum Aktenzeichen 8 AZR 215/23 anhängig. Warten wir ab, wie sich das BAG dazu positionieren wird.