Sofortige Einwilligung nach Aufklärung kann wirksam sein
RAin Krystyna Schurwanz, RAe Dr. Hantke & Partner
BGH Urteil vom 20.12.2022 - VI ZR 375/21
Der BGH hat sich in seiner Entscheidung vom 20.12.2022 mit der Frage beschäftigt, wann und wie der Patient nach ordnungsgemäßer Aufklärung in einen Eingriff einwilligen kann.
Grundsätzlich ist der Patient vor dem beabsichtigten Eingriff so rechtzeitig aufzuklären, dass er durch hinreichende Abwägung der für und gegen den Eingriff sprechenden Gründe seine Entscheidungsfreiheit und damit sein Selbstbestimmungsrecht in angemessener Weise wahrnehmen kann. § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB sehe keine vor der Einwilligung einzuhaltende "Sperrfrist" vor, deren Nichteinhaltung zur Unwirksamkeit der Einwilligung führen würde; sie enthält kein Erfordernis, wonach zwischen Aufklärung und Einwilligung ein bestimmter Zeitraum liegen müsste.
Zu welchem konkreten Zeitpunkt ein Patient nach ordnungsgemäßer - insbesondere rechtzeitiger - Aufklärung seine Entscheidung über die Erteilung oder Versagung seiner Einwilligung trifft, sei seine Sache. Sieht er sich bereits nach dem Aufklärungsgespräch zu einer wohlüberlegten Entscheidung in der Lage, sei es sein gutes Recht, die Einwilligung sofort zu erteilen. Wünscht er dagegen noch eine Bedenkzeit, so könne von dem Patienten grundsätzlich erwartet werden, dass er dies gegenüber dem Arzt zum Ausdruck bringt und von der Erteilung einer - etwa im Anschluss an das Gespräch erbetenen - Einwilligung zunächst absieht. Eine andere Beurteilung sei- sofern medizinisch vertretbar - allerdings dann geboten, wenn für den Arzt erkennbare konkrete Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass der Patient noch Zeit für seine Entscheidung benötigt.
Die Vorinstanz (Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Urteil vom 25. November 2021 – 5 U 63/20) war davon ausgegangen, dass die Einwilligung des Klägers unwirksam sei, weil ihm entgegen § 630e Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB keine Bedenkzeit zwischen der Aufklärung über die Risiken des Eingriffs und der Entscheidung über die Einwilligung eingeräumt worden sei. Eine wohlüberlegte Entscheidung im Sinne des § 630e Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB könne schon nach dem Wortlaut der Bestimmung nur treffen, wer ausreichend Zeit zum Überlegen habe. Wenn ein Krankenhaus aus organisatorischen Gründen die Übung habe, den Patienten unmittelbar im Anschluss an die Aufklärung zur Unterschrift unter die Einwilligungserklärung zu bewegen, könne nicht von einer wohlüberlegten Entscheidung ausgegangen werden. Sie werde vielmehr unter dem Eindruck einer großen Fülle von dem Patienten regelmäßig unbekannten und schwer verständlichen Informationen und in einer persönlich schwierigen Situation abgegeben.
Dieser rechtlichen Beurteilung des OLG Bremen ist der BGH entgegengetreten:
Die Revision wendete sich mit Erfolg gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die vom Kläger am 1. November 2013 erklärte Einwilligung in den ärztlichen Eingriff vom 4. November 2013 sei unwirksam, weil ihm unter Verstoß gegen § 630e Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB keine Bedenkzeit zwischen der Aufklärung über die Risiken des Eingriffs und seiner Entscheidung über die Einwilligung in den Eingriff eingeräumt worden sei. Mit dieser Beurteilung überspanne das Berufungsgericht den Wortlaut des § 630e Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB und stelle überzogene Anforderungen an die der Behandlungsseite obliegenden Pflichten zur Einholung einer Einwilligung des Patienten. Die Bestimmung enthalte kein Erfordernis, wonach zwischen Aufklärung und Einwilligung ein bestimmter Zeitraum liegen müsste, sondern kodifiziert die bisherige Rechtsprechung, der zufolge der Patient vor dem beabsichtigten Eingriff so rechtzeitig aufgeklärt werden muss, dass er durch hinreichende Abwägung der für und gegen den Eingriff sprechenden Gründe seine Entscheidungsfreiheit und damit sein Selbstbestimmungsrecht in angemessener Weise wahrnehmen kann.
630e Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB regelt die Anforderungen an die Aufklärung des Patienten in zeitlicher Hinsicht. Nach dieser Vorschrift muss die Aufklärung so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann. Bereits nach dem Wortlaut und der Stellung im Gesetz bezieht sich die Bestimmung allein auf den Zeitpunkt, zu dem das Aufklärungsgespräch stattzufinden hat (vgl. Rehborn, GesR 2022, 92), das rechtzeitig vor dem Eingriff erfolgen muss. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte mit dieser Regelung keine inhaltliche Änderung der Rechtslage verbunden sein, sondern lediglich die bisherige Rechtsprechung wiedergegeben werden . Im Einklang mit dieser sieht sie keine vor der Einwilligung einzuhaltende "Sperrfrist" vor, deren Nichteinhaltung zur Unwirksamkeit der Einwilligung führen würde; sie enthält kein Erfordernis, wonach zwischen Aufklärung und Einwilligung ein bestimmter Zeitraum liegen müsste (vgl. zu der im Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten in § 630i Abs. 2 BGB-E für das Angebot privater Zusatzleistungen vorgesehenen, vom Gesetzgeber aber abgelehnten Bedenkzeit von 24 Stunden: BT-Drucks. 17/10488, S. 44, 56; NK-BGB/ Voigt, 4. Aufl., § 630e Rn. 10). Vielmehr fordert die Bestimmung eine Aufklärung, die die Möglichkeit zu einer reflektierten Entscheidung gewährleistet . Sie nimmt die bisherige Rechtsprechung auf, der zufolge der Patient vor dem beabsichtigten Eingriff so rechtzeitig aufgeklärt werden muss, dass er durch hinreichende Abwägung der für und gegen den Eingriff sprechenden Gründe seine Entscheidungsfreiheit und damit sein Selbstbestimmungsrecht in angemessener Weise wahrnehmen kann.
Zu welchem konkreten Zeitpunkt ein Patient nach ordnungsgemäßer - insbesondere rechtzeitiger - Aufklärung seine Entscheidung über die Erteilung oder Versagung seiner Einwilligung trifft, ist seine Sache (Rehborn, GesR 2022, 92). Sieht er sich bereits nach dem Aufklärungsgespräch zu einer wohlüberlegten Entscheidung in der Lage, ist es sein gutes Recht, die Einwilligung sofort zu erteilen. Wünscht er dagegen noch eine Bedenkzeit, so kann von ihm grundsätzlich erwartet werden, dass er dies gegenüber dem Arzt zum Ausdruck bringt und von der Erteilung einer - etwa im Anschluss an das Gespräch erbetenen - Einwilligung zunächst absieht. Dass ihn dies - beispielsweise, weil er bereits in Operationsplanungen einbezogen ist und sich einem "Apparat" gegenübersieht, den er möglichst nicht stören möchte - eine gewisse Überwindung kosten mag, ist seiner Selbstbestimmung zuzuordnen. Der - zum Zwecke einer sinnvollen Wahrnehmung seines Selbstbestimmungsrechts - ordnungsgemäß aufgeklärte Patient ist nicht passives Objekt ärztlicher Fürsorge; er ist vielmehr grundsätzlich dazu berufen, von seinem Selbstbestimmungsrecht aktiv Gebrauch zu machen und an der Behandlungsentscheidung mitzuwirken. Es kann von ihm grundsätzlich verlangt werden zu offenbaren, wenn ihm der Zeitraum für eine besonnene Entscheidung nicht ausreicht . Tut er dies nicht, so kann der Arzt grundsätzlich davon ausgehen, dass er keine weitere Überlegungszeit benötigt.
Die Einwilligung in den ärztlichen Eingriff ist nicht an eine bestimmte Form gebunden. Sie kann ausdrücklich erfolgen oder sich konkludent aus den Umständen und dem gesamten Verhalten des Patienten ergeben. Für die Ermittlung des Bedeutungsgehalts des Verhaltens des Patienten ist dabei maßgeblich, wie es aus der Sicht eines objektiven Dritten in der Position des Empfängers - des Behandlers - verstanden werden musste. So kann eine Einwilligung anzunehmen sein, wenn sich der Patient bewusst der Behandlung unterzieht. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts setzt die Annahme einer (konkludenten) Einwilligung weder den Widerruf einer zuvor erklärten (unwirksamen) Einwilligung durch den Patienten noch das Bewusstsein des Behandelnden voraus, der Patient erteile erstmals eine wirksame Einwilligung.
Entscheidend ist, ob der Patient zu irgendeinem Zeitpunkt vor dem Eingriff eine wirksame Einwilligung erklärt und diese nicht widerrufen hat.