RA Thomas Backen LL.M., RAe Dr. Hantke & Partner
Ein vermeintlich kleiner Fehler kann bekanntlich große Wirkung entfalten. Beispielgebend dann, wenn der Arbeitgeber versehentlich das Kündigungsschreiben falsch adressiert. Gravierend ist es aus Sicht des Arbeitgebers insbesondere dann, wenn zum Zeitpunkt der tatsächlichen Zustellung des Kündigungsschreibens bei dem Arbeitnehmer bereits mehr als 6 Monate verstrichen sind. Darüber verhält sich der nachfolgend geschilderte Fall.
I.
Sachverhalt: In dem Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Hamburg vertraten wir den Arbeitnehmer. Der Arbeitnehmer ist seit Anfang Januar 2020 bei einem Personaldienstleister beschäftigt und war sodann an einen Kunden der Arbeitgeberin verliehen worden.
Der Kunde der Arbeitgeberin aus dem Bereich der Luftfahrt hatte Ende April mitgeteilt, sich infolge der Pandemie in den kommenden Wochen und Monaten von etwa 1100 Leiharbeitern trennen zu wollen und kündigte daraufhin auch den Einzelarbeitnehmerüberlassungsvertrag, welcher sich auf die Entleihung unseres Mandanten bezog, gegenüber der Arbeitgeberin.
Daraufhin kündigte die Arbeitgeberin das mit unserem Mandanten bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 30. Juni 2020 zum 17. Juli 2020. Allerdings, dies entschied dann den späteren Rechtsstreit, war das Kündigungsschreiben, obgleich die aktuelle Anschrift ihres Arbeitnehmers bekannt war, an die vormalige Anschrift unseres Mandanten adressiert. Das Kündigungsschreiben gelangte gleichwohl in den ehemaligen Briefkasten unseres Mandanten und wurde dann durch den aktuellen Briefkasteninhaber mit dem Vermerk „verzogen" an den Absender, der Arbeitgeberin unseres Mandanten, zurückgesendet.
Die Arbeitgeberin übermittelte das von ihr verfasste Kündigungsschreiben vom 30. Juni 2020 im Original mit Schreiben vom 13. Juli 2020, welches unserem Mandanten am 15. Juli 2020 an der aktuellen Wohnanschrift zuging.
II.
Das Urteil: In dem darauffolgenden Rechtsstreit urteilte das Arbeitsgericht Hamburg, das Arbeitsverhältnis sei nicht durch die Kündigung des Arbeitgebers vom 30. Juni 2020 beendet worden.
Denn die schriftliche Kündigung wird als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung erst dann wirksam, wenn sie dem Empfänger zugeht. Von einem Zugang ist erst auszugehen, wenn die Erklärung so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass unter gewöhnlichen Verhältnissen mit einer Kenntnisnahme zu rechnen ist. Vorliegend konnte also erst von einem Zugang der Kündigung ausgegangen werden, als das Kündigungsschreiben in den (aktuellen) Briefkasten des Arbeitnehmers gelangt war.
Da zum Zeitpunkt als das Kündigungsschreiben in den Briefkasten unseres Mandanten gelangt war, mehr als 6 Monate vergangen waren, hätte es einer sozialen Rechtfertigung der Kündigung bedurft. Denn bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses länger als sechs Monaten sieht das Gesetz (§ 1 Abs. 1 KSchG) vor, dass eine Kündigung im Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes sozial gerechtfertigt sein muss, um wirksam ein Arbeitsverhältnis beenden zu können. An einer sozialen Rechtfertigung, beispielsweise aufgrund von dringenden betrieblichen Erfordernissen, mangelte es aus Sicht des Gerichtes jedoch in dem hiesigen Fall.
III.
Fazit: Die Arbeitgeberin hätte dementsprechend das Arbeitsverhältnis, auch dann, wenn die Kündigung sozial ungerechtfertigt gewesen wäre, innerhalb der ersten 6 Monate beenden können. Dadurch, dass vorliegend jedoch das Kündigungsschreiben arbeitgeberseits zunächst an die vormalige Adresse ihres Arbeitnehmers übersendet worden war, war zum Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs des Schreibens bei dem Arbeitnehmer bereits mehr als 6 Monate verstrichen. Die Kündigung vermochte das Arbeitsverhältnis im Ergebnis nicht zu beenden.
Wenn die Kündigung gleich richtig adressiert worden wäre, hätte dieses Arbeitsverhältnis beendet werden können. Mit Folgen: Da die Arbeitgeberin seit Mitte des Jahres 2020 keinen Lohn mehr an ihren Arbeitnehmer geleistet hatte, befindet sie sich nunmehr mit mehreren Arbeitslöhnen in Verzug. Unser Mandant kann mithin aufgrund des Fehlers bei der Adressierung des Kündigungsschreibens grundsätzlich die vertraglich vereinbarte Vergütung verlangen, obgleich er seither keine Arbeitsleistungen erbringen musste.