RAin Krystyna Schurwanz, RAe Dr. Hantke & Partner
OLG Düsseldorf 3. Zivilsenat, Beschluss vom 07.08.2019 (Az. I-3 Wx 170/18)
Nach § 1922 BGB geht die Erbschaft mit dem Tod des Erblassers unmittelbar und von selbst auf den Erben kraft Gesetzes über. Dieser von Selbstvollzug bedeutet, dass der Erbanfall auch ohne Wissen des Erben und sogar gegen seinen Willen erfolgt. Eine Annahme oder Antritt der Erbschaft ist nicht erforderlich. Nach § 1942 BGB besteht aber das Recht, die Erbschaft auszuschlagen. Hierfür gilt grundsätzlich eine Frist von 6 Wochen ab dem Zeitpunkt, in welchem der Erbe von dem Anfall und dem Grund der Berufung Kenntnis erlangt hat.
Das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 07.08.2019 - I-3 Wx 170/18) hatte nun über einen Fall zu entscheiden, in dem der Sohn und einzige gesetzliche Erben, die Erbschaft ausgeschlagen hatte. Der Sohn hatte keine konkreten Kenntnisse von der Vermögenslage seines Vaters wegen Fehlens jeglichen Kontaktes seit Jahrzehnten. Auch hat er keine Bemühungen gemacht um die Vermögensverhältnisse nach dem Tode des Erblassers aufzuklären, er befürchtete Überschuldung aufgrund einer Bewertung von Umständen aus den 1970er und 1980er Jahren sowie des Zustandes der Mietwohnung nach dem Tod bei allein spekulativer Betrachtung der Aktiva in dem Sinne, „da könne nichts sein“. Er schlug die Erbschaft aus und bemerkte u.a.: „Ich habe vom Anfall der Erbschaft Kenntnis erlangt am 23.10. beim zuständigen Amtsgericht 2017.
Der Wert des Nachlasses ist mir nicht bekannt.“ Der eingesetzte Nachlassverwalter führte bereits in seinem Erstbericht vom 20. Januar 2018 an, unter den Aktiva des Nachlasses befinde sich auch ein Wertpapierdepot mit Saldo per Todestag über 175.000 €.
Mit notarieller Urkunde vom 4. Juni 2018 hat der Beteiligte zu 1. seine Erbausschlagung angefochten und, gestützt auf die gesetzliche Erbfolge, einen ihn als Alleinerben nach dem Erblasser ausweisenden Erbschein beantragt. Die Anfechtung betreffend, hat er erklärt:
"Ich habe die Erbausschlagung aufgrund eines ... Irrtums über die Vermögensverhältnisse meines verstorbenen Vaters erklärt. Ich hatte seit meinen Kindheitstagen und bis zu seinem Tod keinen Kontakt zu meinem Vater. Nach meinem Kenntnisstand zur Zeit meiner Ausschlagungserklärung am 21.11.2017 und bis zum 30.04.2018 bin ich davon ausgegangen, dass mein Vater aufgrund seiner mir bekannten Alkoholkrankheit vermögenslos und, wie von mir befürchtet, verschuldet war. Mein Vater lebte nach dem Tod seiner Lebensgefährtin allein. Nach Mitteilung des Vermieters meines Vaters über den von mir beauftragten Bestatter war die Wohnung meines Vaters zum Zeitpunkt seines Todes vollkommen verwahrlost und haben sich die Wohnungsnachbarn meines Vaters bei dem Vermieter über die Geruchsbelästigung aus der Wohnung bzw. Toilette meines Vaters beschwert. Aufgrund meiner Ausschlagungserklärung hat das Amtsgericht Duisburg Herrn Rechtsanwalt ... B. ... als Nachlasspfleger eingesetzt ... Am 30.04.2018 hat mich Herr Rechtsanwalt B. angerufen und mir - für mich vollkommen überraschend - Folgendes mitgeteilt: Im Nachlass meines Vaters befänden sich nach Ausgleich einiger Verbindlichkeiten durch den Nachlasspfleger noch ein Geld und Wertpapiervermögen von ca. 180.000 €. Davon seien als Verbindlichkeiten nur noch 3.000 € abzuziehen, die dem Vermieter meines Vaters zustünden. Das vorgenannte Vermögen stamme aus dem Nachlass meiner Großmutter, den zunächst mein Vater und sein Bruder je zur Hälfte geerbt hätten; nach dem Vorversterben des Bruders habe mein Vater auch dessen Vermögen geerbt."
Das Nachlassgericht wies unter Berufung auf die Erbausschlagung den Erbscheinsantrag zurück. Hiergegen legte der Beteiligte zu 1) Beschwerde ein, der wegen Verfristung der Beschwerde nicht abgeholfen wurde. Das OLG Düsseldorf hat die befristete Beschwerde nach den §§ 58 ff. FamFG als statthaft erachtet und die Beschwerde in der Sache aber als unbegründet zurückgewiesen.
Es hat zur Begründung der Zurückweisung der Beschwerde ausgeführt, dass sich an der Wirksamkeit der Ausschlagungserklärung der Erbschaft durch die Anfechtungserklärung vom 04.06.2018 nichts geändert habe, weil es an einem Anfechtungsgrund gemäß § 1954 Abs. 1 BGB i.V.m. den §§ 119, 120, 123 BGB fehle. Zwar stelle die Überschuldung der Erbschaft eine verkehrswesentliche Eigenschaft einer „Sache“ dar, die zur Anfechtung der Ausschlagungserklärung berechtigen könne. Es sei anerkannt, dass die Überschuldung der Erbschaft eine verkehrswesentliche Eigenschaft darstelle, die zur Anfechtung berechtigen könne, indes nur, wenn der Irrtum bezüglich der Überschuldung auf falschen Vorstellungen hinsichtlich der Zusammensetzung des Nachlasses, also bezüglich des Bestandes an Aktiva oder Passiva, beruhe. Der Senat habe in der Vergangenheit den Standpunkt vertreten, hieraus folge zugleich, dass nicht zur Anfechtung berechtigt ist, wer ohne nähere Kenntnis der Zusammensetzung des Nachlasses einer Fehlvorstellung über dessen Größe unterlag; mit anderen Worten sich derjenige nicht auf einen Anfechtungsgrund berufen kann, der nicht aufgrund einer Bewertung ihm bekannter oder zugänglicher Fakten zu dem Ergebnis gelangt war, die Erbschaft wolle er annehmen oder ausschlagen, sondern seine Entscheidung auf spekulativer - bewusst ungesicherter - Grundlage getroffen hatte (zu Vorstehendem: Beschlüsse vom 17. Oktober 2016 in Sachen I-3 Wx 155/15 und vom 2. August 2016 in Sachen I-3 Wx 52/15 mit weiteren Nachweisen; zuletzt Beschluss vom 19. Dezember 2018 in Sachen I-3 Wx 140/18; vgl. auch BeckOK BGB - Siegmann/Höger, Stand: 01.02. 2019, § 1954 Rdnr. 8 und 10; MK-Leipold, BGB, 7. Aufl. 2017, § 1954 Rdnr. 11-14). Hieran halte der Senat nach nochmaliger Überprüfung fest.
Wer bewusst bestimmte Umstände als lediglich möglich betrachte und diese Vorstellung handlungsleitend sein lasse, der verhalte sich aufgrund von Hoffnungen oder Befürchtungen, die das Motiv seines Handelns bildeten. Ein bloßer Motivirrtum berechtige jedoch weder im Allgemeinen, noch speziell im Zusammenhang mit der Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft zur Anfechtung. Dies finde allgemein seine Rechtfertigung im Gesichtspunkt der Rechtssicherheit. Es sei der Gefahr zu begegnen, durch eine zu großzügige Berücksichtigung reiner Motivirrtümer faktisch eine im Gesetz nicht vorgesehene weitere Form der Haftungsbeschränkung eines Erben zu schaffen, nämlich eine sozusagen einstweilige Ausschlagung bis zur abschließenden Klärung der Vermögensverhältnisses des Erblassers. Unerheblich sei, auf welche Weise die Formulierung, der Wert des Nachlasses sei ihm nicht bekannt, Aufnahme in die Ausschlagungserklärung gefunden habe, denn die Erklärung sei nach seinen eigenen Einlassungen inhaltlich richtig gewesen.
Zutreffend spricht der Beteiligte zu 1. in der Anfechtungserklärung selbst davon, er habe eine Überschuldung "befürchtet". Dabei handelt es sich nach den aufgezeigten Grundsätzen um ein bloßes, unbeachtliches - sei es auch möglicherweise plausibles - Handlungsmotiv, das den Beteiligten zu 1. dazu bewog, ohne konkrete Erkenntnisse auf bewusst unsicherer Grundlage die Erbschaft auszuschlagen. Von dieser Entscheidung, einem Schutz vor Inanspruchnahme durch Nachlassgläubiger den Vorzug vor der Gewinnung hinreichend verlässlicher Informationen über die tatsächliche Vermögenslage seines Vaters zu geben, könne er sich nicht nunmehr durch Anfechtung distanzieren.
Da kein rechtlich relevanter Irrtum (bloßer Motivirrtum) vorlag, war der Ausschlagende nicht zur Anfechtung seiner Erklärung berechtigt. Derjenige, der nicht aufgrund einer Bewertung ihm bekannter Umstände oder zugänglicher Faktoren zu dem Ergebnis gelangt, dass er die Erbschaft annehmen oder ausschlagen will, sondern seine Entscheidung auf spekulativer Grundlage stützt, ist nicht zur Anfechtung einer Erklärung über die Ausschlagung der Erbschaft berechtigt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.10.2016 - I-3 Wx 155/15, 3 Wx 155/15 Rn. 19 - FamRZ 2017, 483; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.12.2018 - I-3 Wx 140/18, 3 Wx 140/18 Rn. 18-20 - FamRZ 2019, 1465).
Mit der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf wird die bisherige Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum bestätigt, dass bei einer Ausschlagung der Erbschaft aufgrund bewusst ungesicherter, demnach spekulativer Grundlage von der Vermögenslage des Erblassers eine Anfechtung der Ausschlagungserklärung wegen eines Irrtums über den Umfang des Nachlasses nicht in Betracht kommt.