RA Dr. Kühnemund, RAe Dr. Hantke & Partner
Unsere Gesellschaft steht vor grundlegenden Veränderungen; wir werden immer älter und es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass das bisherige Konzept der urbanen Mobilität grundlegend verändert werden muss. Zwei Themen, die eigentlich nicht unbedingt zusammengehören, die aber der Bundesrat in einem Gesetzesentwurf zusammengeführt hat. Konkret geht es um das barrierefreie Wohnen und die Förderung der Elektromobilität in Mietwohnungen und im Wohnungseigentum.
Dazu hat der Bundesrat erneut einen Gesetzesentwurf dem Bundestag vorgelegt (zu finden unter www.bundesrat.de oder direkt hier). Erneut, weil der gleiche Entwurf bereits 2016 eingebracht, im Ergebnis aber „ausgebremst“ worden war. Weil kein Gesetzesvorhaben über eine Neuwahl hinaus in der Schwebe bleibt (sog. Diskontinuität), sah sich der Bundesrat veranlasst, jetzt zu Beginn der Legislaturperiode seinen Entwurf erneut auf den parlamentarischen Weg zu bringen.
Die Grundüberlegungen des Bundesrates sind sicher nicht von der Hand zu weisen: Bis zum Jahr 2030 soll mindestens jeder vierte Bürger in der Bundesrepublik über 64 Jahre alt sein. Das soll einen Bedarf von ca. 3,6 Mio. altersgerechten Wohnungen entsprechen, dem heute nur ca. 700.000 solcher Wohnungen gegenüberstehen. Im Mietrecht kann der Mieter bereits heute vom Vermieter die Zustimmung verlangen, wenn er in der Wohnung bauliche Veränderungen zur behindertengerechten Nutzung der Wohnung vornehmen will. Für das Wohnungseigentumsrecht fehlen solche Regelungen. Das Instrumentarium, welches das Wohnungseigentumsgesetz bereithält, versagt in der Regel, wenn es z.B. um den nachträglichen Einbau von Rollstuhlrampen, Treppenliften oder gar Fahrstühlen (ob nun im Treppenhaus oder als Außenaufzug) geht. Das Thema des nachträglichen Einbaus einer Aufzugsanlage haben wir in unserem Beitrag hier anhand einer Entscheidung des BGH bereits ausführlich besprochen.
Und auch der zweite Aspekt ist richtig: Wenn bis zum Jahr 2020 tatsächlich eine Millionen Elektrofahrzeuge auf den Straßen unserer Republik fahren sollen, wie es die Bundesregierung wünscht, dann bedarf es auch einer entsprechenden Ladeinfrastruktur. Und die Ladeinfrastruktur muss dort vorgehalten werden, wo auch das Fahrzeug einen großen Teil der Zeit steht: Zu Hause in der heimischen Garage. Insoweit fehlt es aber sowohl im Mietrecht als auch im Wohnungseigentumsrecht an Normen, welche es dem Mieter oder dem Wohnungseigentümer ermöglichen, die Installation einer solchen Ladeinfrastruktur durchzusetzen.
Der Gesetzesentwurf des Bundesrates sieht dabei wie folgt aus:
Im § 22 WEG wird ein neuer Absatz 3 eingefügt. Danach können Maßnahmen zur behindertengerechten Nutzung einer Wohnung mit einer sog. doppelt qualifizierten Mehrheit beschlossen werden, die wir heute schon aus dem Bereich der Modernisierungen kennen. Es müssen drei Viertel aller Wohnungseigentümer zustimmen, die gleichzeitig mehr als die Hälfte der Wohnungseigentümer repräsentieren. In bestimmten Fällen kann der behindertengerechte Umbau sogar ohne Zustimmung der Eigentümer erfolgen.
Im Hinblick auf die Elektromobilität erfolgen Änderungen im Mietrecht und im WEG: § 554a BGB soll dahingehend geändert werden, dass der Mieter die Zustimmung des Vermieters auch für Änderung verlangen kann, die für die Installation einer Ladeeinrichtung erforderlich sind. Ebenso soll es in einer Wohnungseigentumsanlage nicht der Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer bedürfen, wenn denn ein berechtigtes Interesse an der Maßnahme besteht und die Maßnahme nicht die Eigenart der Wohnanlage verändert.
So sinnvoll die Zielrichtung des Entwurfes auch ist, so geht der Entwurf nicht weit genug, er lässt wesentliche, bekannte Probleme außer Acht:
So geht es bei der Frage des altersgerechten Wohnens nicht auch zwingend um die Frage der Behinderung. Eine Behinderung liegt nach der gesetzlichen Definition vor, wenn u.a. die körperlichen Funktionen für länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen. Wer im fortgeschrittenen Alter keine 20 Treppenstufen mehr laufen kann, ist also nicht behindert, sondern befindet sich einfach in einem altersgemäßen Zustand. Für diese Mieter und Wohnungseigentümer greifen die Regelungen also nicht. Wir müssen also nicht (nur) über das behindertengerechte Wohnen sprechen, sondern auch über das altersgerechte Wohnen.
Im Mietrecht kann der Vermieter als Gegenleistung für seine Zustimmung zur baulichen Veränderung eine angemessene Sicherheit für den späteren Rückbau verlangen. Die vorgesehenen Änderungen im WEG sagen dazu nichts. Wie gehen wir mit folgendem Szenario um: Der Eigentümer im 2. OG verlangt die Genehmigung zum Einbau eines Treppenliftes. Irgendwann zieht er aus, irgendwann verstirbt er. Wer ist für den Rückbau zuständig, wer trägt die Kosten dafür?
Im Bereich der Elektromobilität läßt der Entwurf nicht nur rechtliche, sondern auch technische Probleme außer Acht:
Auf die rechtlichen Probleme hatte bereits die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zu dem Entwurf auf dem Jahr 2016 hingewiesen. § 22 Abs. 1 WEG ist, mit allen daraus resultierenden Fragen und Unklarheiten, an sich schon schwierig genug in der täglichen Handhabung. Da genügt es nicht, dieser Norm einfach einen Absatz hinzuzufügen, wonach für diese Maßnahmen eine Zustimmung unter bestimmten Voraussetzungen nicht erforderlich sei. Wenn man schon Hand an diese Vorschrift anlege, dann müssten auch diese bekannten Probleme mit gelöst werden.
Viel gravierender und überhaupt nicht durchdacht sind die technischen Fragestellungen. Man nehme eine kleine Anlage, vielleicht 12 Einheiten, mit 12 Stellplätzen in der Tiefgarage. Die bestehenden Elektroinstallationen in den heutigen Bestandsgebäuden sind in der Regel nicht darauf ausgelegt, dass eine Mehrzahl an Fahrzeugen aufgeladen wird. Und wenn dann in der Straße 20 Gebäude stehen und am Ende eines Tages z.B. 100 Fahrzeuge am Netz hängen und ihre Batterien aufladen wollen, dann gerät auch die Infrastruktur auf öffentlichem Grund an ihre Grenzen. Wie will man damit umgehen? Der erste, der eine sog. Wallbox in der Tiefgarage anbringen will, kann das noch technisch überwiegend problemlos. Was ist aber mit dem 10. oder dem 20. Bewohner einer Anlage? Wer ist dafür verantwortlich, wenn ein solcher Anschluss nur möglich ist, wenn die gesamte Anlage der Hauselektrik modernisiert wird? Wer trägt die Kosten, wer trägt die Verantwortung? Hier greifen die rechtlichen Bedenken in die technischen Probleme: Wer einer baulichen Veränderung nicht zustimmt, braucht nach § 16 Abs. 6 WEG auch die Kosten nicht zu tragen. Wenn aber nun der gesamte Hausanschluss modernisiert wird und vielleicht nur ein paar Eigentümer die Kosten tragen, sind dann alle anderen für Jahre oder Jahrzehnte davon ausgeschlossen? Ober aber wenn es, wie der Entwurf vorsieht, gar keiner Zustimmung bedarf: Tragen dann alle die Kosten?
Neue Technologien erfordern neue Regeln und neue Strukturen. Als Berta Benz 1888 von Mannheim nach Pforzheim fuhr, „tankte“ sie noch in der Stadtapotheke in Wiesloch, denn nur in Apotheken gab es Benzin. Es ist richtig, sich des Themas Elektromobilität anzunehmen. Der Gesetzesentwurf des Bundesrates greift aber zu kurz. Ein neuer „Treibstoff“ für die Mobilität erfordert neue Strukturen. Auch die Automobilität insgesamt kam nicht deshalb voran, weil man jedem Fahrer den uneingeschränkten Zugang zur Apotheke ermöglichte. Es entstand vielmehr nach und nach ein umfangreiches Netz von Tankstellen, also eine völlig neue Infrastruktur.